Manuelle und visuelle Prüfung von rollendem Material anhand von festgelegten Intervallen und Checklisten – ein zeitaufwendiges und dadurch kostspieliges Prozedere, welches den reibungslosen Ablauf im Betrieb und die Sicherheit von Mitarbeitern und Passagieren gewährleistet. Predictive Maintenance – zu Deutsch „vorausschauende Wartung“ – verspricht, diese Prozesse zu vereinfachen und zu verschlanken. Bisher sind die Hürden für Predictive Maintenance groß – Sensorik, Big und Smart Data, Rechenkapazität und Künstliche Intelligenz wird benötigt, um wirklich vorausschauend das Eintreten von Wartungsereignissen auszumachen. Doch Forscher aus Wissenschaft und Industrie arbeiten unermüdlich an der Realisierung.

In den letzten Jahren sind die Anforderungen an das System Bahn gestiegen, ebenso wie der Wartungs- und Instandhaltungsbedarf: Ausgebaute Kapazitäten im Schienenverkehr, eine daraus resultierende höhere Belastung der Infrastruktur, ein Mehr an eingesetzten Fahrzeugen und immer komplexere Systeme haben den Wartungsbedarf intensiviert.

 Hier setzt Predictive Maintenance an und verspricht anhand von gesammelten Daten vorherzusagen, wann Maschinen oder einzelne Komponenten den Geist aufgeben und vorausschauend Wartungsmaßnahmen einzuleiten, um ungeplante Stillstände oder Ausfälle durch Defekte zu verhindern. So könnte der Wartungs- und Instandhaltungsprozess effizienter gestaltet werden – gerade bei dem aktuellen Fachkräftemangel ein attraktiver Ansatz.

Von reaktiver zu vorausschauender Wartung

Die Instandhaltung und Wartung ist weltweit eine der anspruchsvollsten Aufgaben für Fahrzeughalter, da sie einen hohen Zeit- und Kostenaufwand erfordern. Lok und Waggons müssen in hohem Maße zuverlässig sein. Um dies leisten zu können, muss das rollende Material und die Ausrüstung in einem guten Betriebszustand gehalten werden und eine regelmäßige

Wartung und Instandhaltung ist unerlässlich.

In den Vergangenheit geschah dies insbesondere bei Schienenfahrzeugen präventiv im Rahmen festgelegter Fristen. Bei der großen Hauptuntersuchung wurde alle acht Jahre das Fahrzeug komplett neu aufgebaut, ohne auf den tatsächlichen Verschleiß Rücksicht zu nehmen. Durch den enormen Aufwand, mit dem dies Vorgehen einhergeht, entstanden lange Standzeiten und hohe Kosten. Die Kapazitäten der Werkstätten waren gebunden und standen teils für reaktive Instandhaltungen, zum Beispiel aufgrund von Unfällen, nicht zur Verfügung.

Bereits seit Ende der 1990er Jahre wird verstärkt auf ein präventiv-zustandsorientiertes System gesetzt, bei welchem der tatsächliche Verschleißgrad einzelner Komponenten mit berücksichtigt wurde und die Standzeiten somit reduziert werden konnten.

Abbildung 1 zeigt die verschiedenen Wartungsansätze im Vergleich – von reaktiver, über proaktiv-präventiv hin zu Condition Monitoring und Predictive Maintenance.

Jeder Wartungsansatz basiert auf anderen Prozessen oder Technologien:

Corrective Maintenance

Corrective Maintenance bezieht sich auf die Durchführung von Wartungsarbeiten nach dem Ausfall eines Fahrzeuges. Im Zuge dieser reaktiven Instandhaltung, werden Fehler identifiziert und versucht diese zu isolieren und zu beheben, sodass Fahrzeuge oder Ausrüstungsgegenstände in einen betriebsfähigen Zustand zurückversetzt oder ausgetauscht werden können. Es ist ein traditioneller Ansatz, der jedoch das Risiko von längeren Ausfallzeiten und höheren Reparaturkosten birgt.

Condition Monitoring

Condition Monitoring setzt auf eine kontinuierliche Echtzeitüberwachung des rollenden Materials. Mithilfe von Sensoren werden verschiedene Betriebsparameter wie Temperatur, Vibrationen und Druck erfasst. Diese Daten werden analysiert, um Abweichungen von normalen Betriebsparametern zu identifizieren. Condition Monitoring ermöglicht eine frühzeitige Warnung vor möglichen Defekten, sodass Wartungsarbeiten geplant werden können, bevor ein Ausfall auftritt. Zwei wesentliche Ziele sind die frühzeitige Erkennung von Schäden an den überwachten Komponenten und Systemen sowie die Möglichkeit der Schadenszuordnung anhand bauteiltypischer Frequenzen.

Preventive Maintenance

Preventive Maintenance zielt darauf ab, Ausfälle durch planmäßige Wartungsarbeiten zu verhindern. Diese Arbeiten werden zu vordefinierten Zeitpunkten oder Betriebsstunden durchgeführt, unabhängig vom aktuellen Zustand des Fahrzeugs. Hier kommen Inspektionen, Austausch von Verschleißteilen und andere vorbeugende Maßnahmen zum Einsatz. Obwohl dies die Zuverlässigkeit verbessert, kann es zu unnötigen Wartungskosten führen, da Teile möglicherweise noch nicht verschlissen sind.

Predictive Maintenance

Predictive Maintenance nutzt fortschrittliche Datenanalyse und maschinelles Lernen, um den optimalen Zeitpunkt für Wartungsarbeiten vorherzusagen. Durch die Analyse von historischen Daten und Echtzeitinformationen werden Muster und Trends identifiziert, die auf zukünftige Probleme hinweisen. Dies ermöglicht eine proaktive Planung von Wartungsmaßnahmen, um Ausfälle zu minimieren und die Verfügbarkeit der Fahrzeuge zu maximieren.

In den letzten Jahren konnte ein Umschwung von einer Instandhaltung innerhalb fester Zeitintervalle oder einer reaktiven Instandhaltung hin zu einer präventiv-zustandsorientierten erlebt werden.

In Zukunft werden Wartungsbedarfe auf Grundlage von erhobenen Zustandsdaten prognostiziert werden. In Teilen ist dies bereits heute möglich, wenn auch Predictive Maintenance noch nicht ausgereift ist (Abbildung 2).

Digitalisierung als Basis

Die Evolution von Wartungsansätzen hängt stark vom Digitalisierungsgrad ab.

In den letzten Jahren wurde die Papierwagenakte durch ein elektronisch Instandhaltungsplanungssystem ersetzt und ermöglichte so, noch offene Maßnahmen in nachfolgende Instandhaltungsmaßnehmen zu übernehmen. Ein wichtiger Schritt hin zu einer zustandsbasierten Instandhaltung.

Doch erst durch eine weiter fortschreitende Digitalisierung werden Wartungs-konzepte wie Condition Monitoring oder Predictive Maintenance ermöglicht. Die fortschreitende Entwicklung optimiert nicht nur bestehende Abläufe, sondern eröffnet auch innovative Perspektiven zur Effizienzsteigerung bestehender Prozesse.

Mit einem zunehmenden Digitalisierungsgrad und neuen Technologien werden sich auch weiterhin neue Möglichkeiten in der Wartung und Instandhaltung ergeben.

Dateninfrastruktur – Big Data in der Wartung und Instandhaltung

Eine solide Dateninfrastruktur bildet das Rückgrat für die digitale Evolution in der Fahrzeuginstandhaltung. Der Einsatz von Big-Data-Technologien revolutioniert die Art und Weise, wie Daten erfasst, gespeichert, und analysiert werden. Die Big-Data-Infrastruktur schafft die Grundlage für eine datenbasierte Instandhaltung, die weit über traditionelle Wartungsansätze hinausgeht.

Die Verbindung von Digitalisierung, Big Data und Predictive Maintenance bildet das Herzstück der zukünftigen Fahrzeuginstandhaltung. Durch die intelligente Nutzung von digitalen Technologien, umfassenden Datensätzen und präzisen Vorhersagen ermöglicht diese Synergie nicht nur eine effiziente Instandhaltung, sondern ebnet auch den Weg für eine neuartige, vorausschauende Mobilität im Schienenverkehr.

Was braucht es für Predictive Maintenance?

Die Umsetzung von Predictive Maintenance erfordert genaue, detaillierte und aktuelle Kenntnisse über den Zustand der zu überwachenden Objekte. Hierfür wird eine bestimmte Infrastruktur, Hardware und Rechenleistung benötigt:

Sensoren

Um die Zustände von Bahninfrastruktur und -fahrzeugen zu überwachen, sind verschiedene Sensoren erforderlich, wie zum Beispiel Schwingungssensoren, Temperatursensoren, Drucksensoren und Stromsensoren.

Datenerfassungsgeräte

Um die von den Sensoren gesammelten Daten zu erfassen, zu speichern und zu übertragen, werden Datenerfassungsgeräte verwendet. Diese können entweder an Bord der Fahrzeuge oder entlang der Strecke installiert sein.

Cloud-basierte Speicher- und Rechenleistung

Um die großen Datenmengen, die bei Predictive Maintenance anfallen, zu speichern und zu verarbeiten, werden in der Regel Cloud-basierte Dienste verwendet. Dies ermöglicht es, die Rechenleistung flexibel an die Anforderungen anzupassen und auf die Daten von überall auf der Welt aus zugreifen zu können.

Künstliche Intelligenz- und Machine Learning-Modelle

Um die gesammelten Daten zu analysieren und Prognosen über die Zustände der Bahninfrastruktur und -fahrzeuge zu treffen, werden KI- und Machine-Learning-Modelle eingesetzt.

Frontend-Anwendungen

Um die Daten und Prognosen dem Nutzer zu präsentieren und zu visualisieren, werden Frontend-Anwendungen entwickelt, die auf die Bedürfnisse des jeweiligen Unternehmens angepasst werden können.

Herausforderungen und Chancen

Aus den Voraussetzungen leiten sich auch die Herausforderungen ab, wenn es um die Implementierung einer vorausschauenden Wartung von Infrastruktur und rollendem Material geht:  Es fehlt an präzisen Sensoren, die Qualität der aktuell erhobenen Daten ist oftmals ungenügend und kann nicht als Basis für Prognosen herangezogen werden und es fehlt an Algorithmen, welche die vorhandenen Daten auswerten können. Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen sind noch nicht so weit fortgeschritten, dass anhand von gesammelten Daten das Verhalten und die Laufleistung von Maschinen oder Infrastruktur abgeleitet werden kann.

Doch wenn die benötigten Technologien erst einmal ausgereift sind, kann durch eine kontinuierliche Analyse erhobener Betriebs- und Zustandsdaten eine akkurate Prognose über den Wartungsbedarf von Infrastruktur, Eisenbahnanlagen und Rollendem Material getätigt werden. Dies wird nicht nur ermöglichen die Wartungsprozesse effizienter zu gestalten, sondern auch Ressourcen – sowohl Material und Kosten als auch Personal – einsparen.

Illusion Predictive Maintenance – ein riesiges Geschäft

In einer im Jahr 2021 von BearingPoint durchgeführten, branchenübergreifenden Umfrage zum Thema Predictive Maintenance, gab die Mehrheit der befragten Unternehmen an, bereits Projekte zur Implementierung von Predictive Maintenance umgesetzt zu haben. Doch auch hier gilt: Wo Predictive Maintenance auf dem Etikett steht, ist höchstens Condition Monitoring drin.

Mit dem Label „Predictive Maintenance“ lässt sich allerdings ein höherer Umsatz generieren, die Bezeichnung verspricht Innovation, ein besseres Verständnis der eigenen Anlagen und eine höhere Effizienz im Betrieb.

Also alles nur Marketing?

Nicht ganz. Zwar gibt es noch keine vorausschauende Wartung und Instandhaltung, der Hype rund um das Thema und der boomende Markt hat jedoch auch die Forschung und Entwicklung hierzu beflügelt.

Der globale Markt für vorausschauende Wartung im Schienenverkehr ist in den letzten Jahren stark gewachsen und wird bis 2024 voraussichtlich 4,4 Milliarden US-Dollar erreichen, gegenüber 2,3 Milliarden US-Dollar im Jahr 2019, was einem jährlichen Wachstum von etwa 14 % entspricht.

Der asiatisch-pazifische Raum dominiert den Markt für vorausschauende Wartung im Schienenverkehr und wird voraussichtlich bis 2024 den größten Marktanteil halten. Dies ist auf die wachsenden Investitionen in die Schieneninfrastruktur und die steigende Nachfrage nach Schienenverkehr in Ländern wie China, Indien und Japan zurückzuführen.

Es wird erwartet, dass Europa der zweitgrößte Markt für vorausschauende Instandhaltung im Eisenbahnmarkt sein wird, gefolgt von Nordamerika. In Europa treiben staatliche Initiativen zur Modernisierung der Bahninfrastruktur und die steigende Nachfrage nach umweltfreundlicher Mobilität den Markt für vorausschauende Wartung an.

Status Quo: Smart Maintenance

Auch wenn bisher eher ein Versprechen verkauft wird, gab es in den vergangenen Jahren entscheidende Fortschritte in der Wartungstechnologie. Daten können in einigen Bereichen in Echtzeit erfasst und analysiert werden und helfen bei der Optimierung von Betriebsparametern. Anhand erster Erfahrungswerte können Wartungsintervalle angepasst werden.

Die aktuelle Datengrundlage wird intelligent genutzt und bereitet den Weg für genauere Prognosen– Smart Maintenance ist die Basis für die Predictive Maintenance der Zukunft.

Forschung für die Zukunft

Infrastrukturbetreiber und Hersteller von rollendem Material arbeiten seit Jahren aktiv daran, die nötige Datengrundlage zu schaffen, um Instandhaltungs- und Wartungsarbeiten vorausschauend zu gestalten.

Und auch das Deutsche Zentrum für Schienenverkehrsforschung, das Forschungsressort des Eisenbahn-Bundesamtes, hat das Thema Prädiktive Wartung und Instandhaltung für sich entdeckt.

Im Sommer 2021 startete das Projekt „Systematisierung der Infrastruktur-Instandhaltungsplanung und Beschreibung der Anwendung von Predictive Maintenance“, welches vom DZSF finanziert wurde. Während des Projektzeitraumes von sieben Monaten forschten DB Systemtechnik und DB Netz AG gemeinsam zu Anwendungs-möglichkeiten von Predictive Maintenance und welche Planungsaufgaben in den unterschiedlichen Ebenen von einer Anwendung datenbasierter Preditive-Maintenance-Methoden profitieren können. Die Forscher kamen zu der Einschätzung, dass die Einführung von Predictive-Maintenance zwingend (zeitnah) nötig ist, um den Herausforderungen von einer immer weiter steigenden Kapazitätsnachfrage und einer zeitgleich abnehmendem Anzahl an Facharbeitern, entgegenwirken und diese Entwicklungen und ihre Auswirkungen abfangen zu können.

Ende 2021 veranstaltete die Themengruppe Predictive Maintenance des DZSF eine erste Fachtagung während welcher mehr als 100 Experten aus Industrie und Forschung Aspekte der Einführung von Predictive Maintenance besprachen. Ebenfalls seit Ende 2021 läuft das vom DZSF mit rund 2,4 Mio. Euro finanzierte Projekt „AIFRI – KI-basierte Analyse von Schienenprüfdaten für eine optimierte Instandhaltungsplanung“. Ein Jahr später startete ein Projekt zur Schaffung eines Konzeptes einer Datenplattform für Predictive Maintenance Anwendungen im Schienenverkehr.

Während erste Teilergebnisse der Projekte bereits veröffentlicht worden sind, bzw. Projekte schon ganz abgeschlossen wurden, zeigen auch die Bemühungen der Industrie erste Erfolge:

Unter dem Label „Maintenance Intelligence“ wirbt Siemens Mobility mit einer datenbasierten Instandhaltung, welche durch eine ständige Überwachung der Zug- und streckenseitigen Betriebsdaten möglich ist. Das Unternehmen bietet ein ganzes Portfolio an, welches sich um eine intelligente und datenbasierte Wartung dreht: Railigent X, digitales Depot und Flottenmanagement sowie digitaler Zwilling.

Mit den Produkten von Siemens sollen 30 Prozent weniger ungeplante Depotaufenthalte und 15 Prozent niedrigere Instandhaltungskosten möglich sein.

Mit einem Blick auch auf andere Unternehmen und deren Ergebnisse aus Forschung und Entwicklung der letzten Jahre, bleibt nur eines zu sagen: Die großen Systemhäuser läuten die Zukunft ein.