Eine erfolgreiche Digitalisierung des Bahnmarktes bedarf der konsequenten Standardisierung

Im Zuge des immer schnelleren technologischen und gesellschaftlichen Wandels müssen sich Unternehmen völlig neu orientieren. In diesem Prozess wird es für das Management immer wichtiger einen systematischen Umgang mit Situationen großer Unsicherheit zu finden. Megatrends und technologische Treiber müssen zu einem zentralen Handwerkszeug von Entscheidungsträgern werden.

Bereits zum zweiten Mal haben wir bei ASTRAN deshalb Experten und Entscheidungsträger der weltweiten Bahnmärkte nach ihrer Einschätzung zu aktuellen Megatrends im Schienenverkehr befragt. In diesem Jahr standen vor allem technologische Trends und Treiber in sicherheitsrelevanten Bahnanwendungen im Mittelpunkt unserer Analyse. Im Folgenden haben wir die Ergebnisse der Online-Befragung für Sie zusammengefasst.

Digitalisierung und Standardisierung gehen Hand in Hand

Wie schon im Jahr 2016 stellten wir branchenerfahrenen Experten und Entscheidungsträgern aus insgesamt 14 Ländern zunächst die folgende Frage:

Im Hinblick auf die strategische Entwicklung Ihres Unternehmens, für wie wichtig und für wie dringlich bewerten Sie die Megatrends der europäischen Bahnmärkte?

Im vergangenen Jahr zeigte sich hier noch ein relativ ausgeglichenes Bild. Damals schätzten die vor allem aus der DACH Region (Deutschland, Österreich und Schweiz) stammenden Teilnehmer die „Digitalisierung“ als wichtigsten Trend und den „Wettbewerb zwischen kundenspezifischen Lösungen und Standardindustriekomponenten“ als dringlichsten Trend ein. Ebenfalls wichtig waren die Trends der „gesteigerten Mobilität“ und der „Urbanisierung“.

In diesem Jahr zeichnen sich nun deutliche Veränderungen ab. Als der mit Abstand dringlichste Trend für die strategische Ausrichtung der Unternehmen wird die „Digitalisierung“ wahrgenommen. Am wichtigsten schätzen die Teilnehmer nun die Frage ein, ob im Markt zukünftig auch weiter vor allem auf kundenspezifische, also proprietäre Lösungen gesetzt wird oder ob es zukünftig immer mehr zu einem Wandel zugunsten von Standardindustriekomponenten kommen wird.

Dabei zeigen die Antworten der Experten und Entscheidungsträger auf die folgende Frage ganz deutlich, dass sich die Bereitschaft im deutschsprachigen Bahnmarkt zukünftig auf COTS Komponenten zu setzen deutlich erhöht hat.

Plant Ihr Unternehmen zukünftig auf Standardindustriekomponenten im Sinne von Commercial-Off-The-Shelf (COTS) Technologien zu setzen?

Während im Jahr 2016 noch rund 41% der Befragungsteilnehmer angaben, zukünftig auf COTS Lösungen setzten zu wollen, liegt dieser Wert im Jahr 2017 bereits bei über 55%. So ist davon auszugehen, dass sich der Reifegrad von COTS Produkten insbesondere im DACH Bahnmarkt im vergangenen Jahr erhöht hat und sich auch in Zukunft weiter erhöhen wird.

Ein zentraler Treiber dieser Entwicklung ist die Standardisierung. Diese gilt in vielen Branchen als grundlegende Basis für digitale Lösungen und wird dahingehend auch im Bahnmarkt immer stärker wahrgenommen.

Diese Entwicklung ist immer mehr auch an den im Bahnmarkt zu beobachtenden Initiativen zu erkennen. Programme wie zum Beispiel die EULYNX Initiative zeigen, dass standardisierte Schnittstellen, wie zum Beispiel auch das RaSTA Protokoll, einen wichtigen technologischen Treiber im sicherheitsrelevanten Bahnmarkt darstellen.

Zum einen bilden Standards also die absolute Basis für den Erfolg der digitalen Transformation in der Bahntechnik. Zum anderen bieten Standardkomponenten aber auch für die Unternehmen selbst zahlreiche Vorteile, ob sie nun als Anbieter von COTS Produkten am Markt agieren oder als Anwender damit spezifische Bahnanwendungen realisieren.

Die Herausforderungen liegen dabei auf der Hand. Der Bahnverkehr verfügt über eine Vielzahl sicherheitsrelevanter Anwendungen. Sowohl im Bereich der Infrastruktur, als auch im Schienenfahrzeug selbst ist es von zentraler Bedeutung, dass die bestehenden, marktseitig geforderten Sicherheitsstandards auch von Standardkomponenten erfüllt werden.

Hierfür sind noch immer umfangreiche und komplexe Zulassungsprozesse notwendig. Beide Aspekte werden von den Experten als besondere Herausforderungen von COTS Produkten im sicherheitsrelevanten Bahnmarkt wahrgenommen.

Der Weg zur endgültigen Marktdurchdringung

Bis zur endgültigen Marktdurchdringung ist es noch ein weiter Weg. Wie dieser zukünftig aussehen wird ist weiterhin offen. Sicher ist nur, die Standardisierung wird kommen, ob nun in einem Prozess der kleinen Schritte oder als „Big Bang“. Der Markt wird auf diesem Weg weitere Anforderungen an die Hersteller von COTS Komponenten stellen.

Die beiden Megatrends Digitalisierung und Standardisierung, welche auch die öffentliche Debatte dominieren, bestimmen auch die zukünftigen strategischen Ausrichtungen der Bahntechnikunternehmen. Klar ist, ein erfolgreicher digitaler Wandel braucht Standards, um die Vernetzung, den Kernbaustein der Digitalisierung, auch im Bahnverkehr konsequent zu ermöglichen.

Die Entwicklung des Bahnmarktes hängt hier anderen Industrien – insbesondere der Automobilbranche – einige Jahre hinterher. Eine weitere Verschiebung der Branchenstrukturen im Bahnmarkt wird zukünftig außerdem eine immer stärkere Lösungsorientierung hervorrufen. Flexibilität in den Systemen wird hier zum Wettbewerbsvorteil und Qualitätsmerkmal im nationalen und globalen Wettbewerb.

Standardisierung stellt dabei jedoch keinen Selbstzweck dar, denn die zunehmende Flexibilität wird auch eine stärkere Komplexität der Lösungen hervorrufen. Die damit verbundenen Anforderungen an Applikationsentwickler, insbesondere im Bereich der IT-Infrastrukturen, werden deutlich zunehmen. Entsprechend stellen COTS Komponenten auch vor dem Hintergrund der Preisvorteile eine Chance dar, strapazierte Finanzdecken nachhaltig zu schonen und Entwicklungskosten – zumindest auf der Hardware Seite – zu reduzieren.